Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Was bedeutet tiefenpsychologisch fundierte Therapie?

Der Ausdruck „tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ bezeichnet ein in Deutschland zugelassenes, staatlich und wissenschaftlich anerkanntes Richtlinienverfahren, das aus der Psychoanalyse entwickelt wurde.

Der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie liegt – wie der analytischen Psychotherapie und Psychoanalyse auch – die Annahme zu Grunde, dass menschliches Verhalten, Denken und Fühlen zum Großteil von unbewussten, innerpsychischen Prozessen determiniert wird, die dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich sind. Diese Annahme wird leicht nachvollziehbar, wenn man an alltägliche Ereignisse wie bspw. das Fahrrad fahren denkt: Jemand der das Fahrradfahren beherrscht, denkt nicht ständig daran, wie er sein Eigengewicht balancieren muss, um nicht die Balance zu verlieren, wie er den Lenker drehen muss, um in eine bestimmte Richtung zu fahren, wie er in die Pedale wann mit welchem Bein treten muss, um voran zu kommen – all diese Prozesse passieren unbewusst.

Auch bei psychischen Beschwerden und Erkrankungen spielen eine Vielzahl unbewusster Faktoren eine entscheidende Rolle. Die Grundlage für die Entstehung der meisten psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter bilden oftmals frühe zwischenmenschliche Erfahrungen, in denen nicht in ausreichendem Maße adäquat auf die Bedürfnisse des Kleinkindes oder Kindes eingegangen wurde. Beispielsweise kann sich ein Zuviel oder Zuwenig an Bindung schließlich in starren Charakterzügen oder psychischen Symptomen, wie Depressionen oder Ängsten äußern.

Ziel der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist – anders bei der analytischen Psychotherapie und Psychoanalyse – die Bearbeitung eines abgrenzbaren Problembereichs, der im Vorfeld mit dem Therapeuten bestimmt wird.

Durch ein gemeinsames Verstehen des Verhaltens und Erlebens des Patienten im Hinblick auf diesen Problembereich, werden die unbewussten Hintergründe des Patienten, die in diesem Bereich latent wirken, erforscht und aufgedeckt, wodurch neue Sicht- und Erlebensweisen für den Patienten denk- und erfahrbar werden. Oftmals geht damit eine Angst einher, da man sich an „alten Wunden“ wieder heranwagt, die keine „guten“ Gefühle auslösen. Der Patient wagt sich allerdings nicht allein an die Wunde heran, sondern hat die Unterstützung des Therapeuten. Dieses Durcharbeiten kann somit eine emotional korrektive Beziehungserfahrung hervorbringen, die ein seelisches Leiden verringert oder heilt.

Ein weiterer Wirkfaktor der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie, wie auch der Psychoanalyse, ist die Bereitstellung eines Raumes, der eine sog. „Abreaktion“ ermöglicht. Unter einer Abreaktion wird eine emotionelle Abfuhr und Befreiung innerpsychischer Affektanstauung verstanden, die ein kathartisches Erleben ermöglicht. Bestimmte affektvolle Erinnerungen können durch ein Abreagieren an pathologischem Einfluss verlieren.


Die beiden französischen Psychoanalytiker Laplanche und Pontalis schreiben dazu (1973): „Das Abreagieren kann spontan erfolgen, d. h. in einem dem Ereignis genügend nahen Zeitraum, um zu verhindern, dass seine Erinnerung mit einem zu großen Affekt beladen und dadurch pathogen wird. Oder das Abreagieren erfolgt sekundär, durch die kathartische Psychotherapie provoziert, die es dem Kranken erlaubt, sich zu erinnern und das traumatische Ereignis sowohl durch die Sprache zu objektivieren als auch von dem pathogen wirkenden Affektbetrag zu befreien. In der Tat schreibt Freud schon 1895: ‚Aber in der Sprache findet der Mensch ein Surrogat für die Tat, mit dessen Hilfe der Affekt nahezu ebenso abreagiert werden kann‘“.

Was ist der Unterschied zwischen tiefenpsychologische fundierter Psychotherapie und analytischer Psychotherapie / Psychoanalyse?

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie bzw. Psychoanalyse basieren zwar auf der gleichen Grundannahme – der Existenz eines dynamischen Unbewussten – unterscheiden sich jedoch in einer Vielzahl von Aspekten, die theoretische und praktische Auswirkungen auf die Behandlung haben.

Sitzungsfrequenz

Die Sitzungen einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie finden 1-2 mal pro Woche statt, 2-3 mal pro Woche bei der analytischen Psychotherapie und mindestens 4 mal pro Woche bei der Psychoanalyse. Durch eine zunehmende Sitzungsdichte wird eine tiefere Regressionsebene erreicht, die eine Umstrukturierung der Gesamtpersönlichkeit ermöglicht.

Ziele
 
Die Ziele in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie beschreiben abgrenzbare Problembereiche, die durch unbewusste Konflikte bestimmt werden. Dabei wird eine reifere Verarbeitung unbewusster Konflikte seitens Patienten angestrebt, wodurch sich das interpersonelle Beziehungsverhalten und aktuellen Lebensumstände des Patienten verändern können. Die analytische Psychotherapie zielt hingegen auf punktuelle Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur ab, wobei die Psychoanalyse auf eine grundlegende Umstrukturierung der Gesamtpersönlichkeit abzielt. Je tiefer die Regression, desto eher werden grundlegende Persönlichkeitsfacetten veränderbar.

 

 Dauer

Je nach Frequenzwahl dauert eine tiefenpsychologisch fundierte Behandlung in der Regel ca. 1-2 Jahre, eine analytische Psychotherapie 1,5-3 Jahre, eine Psychoanalyse 2-4 Jahre, wobei diese theoretisch auch unbegrenzt sein kann. Zu beachten ist, dass in Deutschland die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (1-2 Sitzungen pro Woche) und die analytische Psychotherapie (i.d.R. 2-3 Sitzungen pro Woche) finanziert wird, nicht jedoch eine Psychoanalyse, die min. 4 mal pro Woche stattfindet. Daneben gibt es gesetzlich bestimmte Sitzungskontingente gibt (s. unten), die berufspolitisch festgelegt wurden, wodurch sich die Dauer begrenzt ist. Ebenso können individuelle Absprachen zwischen Patienten und Therapeut die Behandlungsdauer verkürzen oder verlängern.
 

Setting

In der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie sitzen sich Patient und Psychotherapeut gegenüber, in der analytischen Psychotherapie liegt der Patient (Analysand) i. d. R. auf einer Couch und der Analytiker sitzt hinter oder neben der Couch, ebenso in der Psychoanalyse. Unter bestimmten Umständen ist es möglich, dass sich Therapeut und Patient/Analysand auch im Rahmen einer analytischen Psychotherapie gegenüber sitzen.

Sitzungskontingente
 
Das Kontingent einer tiefenpsychologisch fundierten (Langzeit-)Psychotherapie beträgt im ersten Bewilligungsschritt nach gutachterlicher Prüfung 60 Stunden, in einem zweiten Schritt kann die Anzahl der genehmigten Sitzungen um 40 Stunden auf insgesamt 100 Stunden erhöht werden. Das Sitzungskontingent einer analytischen Psychotherapie beträgt im ersten Bewilligungsschritt 160 Stunden. Dieses kann bei entsprechender Indikation um 140 Stunden auf insgesamt 300 Stunden erhöht werden. Eine Psychoanalyse hat ein unbegrenztes Stundenkontingent (ein Ende als solches gibt es nicht), welches von der Krankenkasse so jedoch nicht mehr bewilligt wird. Eine „Stunde“ bzw. Sitzung dauert insgesamt 50 Minuten.

Gibt es Nebenwirkungen und Risiken einer Psychotherapie?

Psychotherapien haben sowohl Nebenwirkungen, als auch Risiken. Diese zu kennen ist für den Erfolg einer Therapie entscheidend.

Folgender Abschnitt basiert auf den frei zugänglichen Patienteninformationen der Donau-Universität Krems (2014):

„[…] Was müssen PatientInnen beachten? Rechte und Pflichten bei einer psychotherapeutischen Behandlung und besondere Hinweise

  • Zu Beginn ist ein „Therapievertrag“ (mündlich oder schriftlich) bezüglich Vorgangsweise und Ziel(e) der Psychotherapie zwischen PatientIn und PsychotherapeutIn zu vereinbaren.
    […]
  • In der Therapie ist der respektvolle Umgang mit den Wünschen des Patienten/der Patientin unabdingbar.
  • Der/die PatientIn hat ein Recht darauf, dass der/die PsychotherapeutIn Fragen zum therapeutischen Vorgehen beantwortet.
  • PsychotherapeutInnen dürfen nicht ihre persönlichen, wirtschaftlichen oder sexuellen Interessen gegenüber PatientInnen verfolgen.
  • Die Psychotherapie sollte langfristig soziale Kontakte fördern und nicht belasten.
  • Der/die TherapeutIn hat laut dem Psychotherapiegesetz Berufspflichten wie z.B. Fortbildung und Verschwiegenheit. Jeder/jede PsychotherapeutIn soll zudem regelmäßig Supervision in Anspruch nehmen.
  • Esoterische Verfahren dürfen im Rahmen von Psychotherapie nicht angewendet werden.

Wechselwirkungen von Psychotherapie

Wenn der/die PatientIn zur selben Zeit mehrere Psychotherapien oder psychosoziale Beratungen in Anspruch nimmt, kann dies zu unerwünschten Wirkungen führen. Ausnahmen können dann angezeigt sein, wenn in Absprache mit dem Therapeuten/der Therapeutin im selben Zeitrahmen eine Gruppenpsychotherapie in Anspruch genommen wird.

Neben-Wirkungen von Psychotherapie

  • Es kann Phasen der Symptomverschlechterung geben.
  • Es können Phasen von Selbstüberschätzung und/oder Selbstzweifel eintreten.
  • Partnerschaftliche, familiäre und freundschaftliche Beziehungen können sich verändern, verbessern oder verschlechtern.
  • Berufliche Veränderungen in positiver und negativer Weise können auftreten. In der Therapie ist dies mit dem Psychotherapeuten/der Psychotherapeutin zu besprechen.

Welche unerwünschten Wirkungen können durch Psychotherapie auftreten?

  • Finanzielle und zeitliche Belastung
  • Verstrickungen in der Beziehung zum Psychotherapeuten/zur Psychotherapeutin – die psychotherapeutische Beziehung ist keine private, sondern eine bezahlte Arbeitsbeziehung.
  • Wenn unerwünschte Wirkungen und/oder keine Veränderungen in Richtung der gestellten Therapieziele eintreten, wird Folgendes empfohlen:
  1. Ansprechen der Problematik mit dem Psychotherapeuten/der Psychotherapeutin. Wenn keine zufriedenstellende Reaktion von Seiten des Therapeuten/der Therapeutin erfolgt:
  2. Ansprechen der Problematik mit anderen fachlich kompetenten Personen, z.B. in Beratungsstellen etc.
  3. Eventuell nochmalige/zusätzliche medizinische Abklärung.
  4. Einen PsychotherapeutInnenwechsel in Betracht ziehen“
 
Weiterführende Informationen und Hinweise zum Thema Risiken und Nebenwirkungen finden Sie im frei zugänglich und gut leserlich geschriebenen online-Artikel Psychotherapie Wie Sie mit Nebenwirkungen umgehen (abgerufen am 25.10.18) der Webseite test.de der Stiftung Warentest.

Was ist der Unterschied zwischen tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Verhaltenstherapie?

Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Verhalten und psychische Symptome ge- bzw. erlernt wurden, und wieder verlernt werden können. Dabei werden Symptome eher als etwas gesehen, das „beseitigt werden muss“ und weniger als etwas, dass „verstanden werden kann oder will“.

Die Verhaltenstherapie ist die Therapieform, die Patienten am häufigsten wählen, und die am öftesten von Ärzten, Therapeuten und Kliniken empfohlen wird, da sie schnelle Linderung (zumindest) verspricht, was attraktiv für viele klingt und dem momentanen Zeitgeist entspricht. Häufig ist eine Verhaltenstherapie jedoch nicht zufriedenstellend für den Patienten, da er sich unverstanden oder – im schlimmsten Fall – „abgefertigt“ fühlt.

Für ein erstes psychotherapeutisches „Heranwagen“ an ein psychisches Leiden, kann die Verhaltenstherapie durchaus das Mittel zur Wahl sein. Bleibt die erwünschte Besserung jedoch aus, ist es ratsam eine anderen Therapieform wie die tiefenpsychologisch fundierte oder analytische Psychotherapie in Erwägung zu ziehen.

In der Verhaltenstherapie
    •    bekommen Sie tendenziell eher weniger Raum für sich; die Struktur wird vorgegeben
    •    ist der Therapeut stattdessen aktiver und gibt Ihnen konkrete Aufgaben, Tipps und Hilfestellungen
    •    geht es darum ein Problem so schnell wie möglich zu beseitigen und zu lösen
    •    werden max. 80 Sitzungen durch gesetzliche Krankenkasse bewilligt

In der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie hingegen
    •    können Sie Sie selbst sein und den Raum und die Zeit gestalten, wie Sie sie  brauchen und möchten
    •    ist der Therapeut eher zurückhaltend, aber auch aktiv anwesend
    •    geht es darum ein abgegrenztes Problemgebiet mit all seinen Facetten zu verstehen und durchzuarbeiten
    •    werden max. 100 Sitzungen durch die gesetzliche Krankenkasse bewilligt

Dr. phil. Dipl.-Psych. Gunnar Reefschläger

Praxis für Psychoanalytische Psychotherapie
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